IgG ist eines von vielen Immunglobulinen, also Antikörpern, die man bildet, wenn man ein bestimmtes Nahrungsmittel isst. Hersteller und Anbieter wie z.B. Kiweno sagen, dass durch einen durch unsere Lebensweise geschädigten Darm dieser durchlässig wird und unser Immunsystem so auf Nahrungsbestandteile reagiert, die sozusagen illegal den Darm passieren. Man würde das eine Typ-III Allergie auf Lebensmittel nennen (1,2). Das führe dann zu Entzündungen und anderen Problemen. Würde man die Nahrungsmittel für mindestens acht Wochen weglassen (1), auf die man laut Test allergisch reagiert, dann würde es einem bald besser gehen. Klingt logisch.
Mein Gluten-Versuch
Ich liebe Brot und alles was glutenhaltig ist. Ich esse auch viel davon und vertrage es bestens. Doch um den Selbsttest etwas aussagekräftiger zu machen, habe ich vor dem Test zwei Tage lang fast nur Seitan-Produkte (Seitan ist reines Gluten) und Brot gegessen. Seitanknödel, Seitanschnitzel, viel Brot und auch einen sehr leckeren Kuchen. Ich vermute, dass dadurch der IgG-Wert meiner Messung hoch sein wird und ich durch diesen Test sozusagen eine Gluten-Unverträglichkeit diagnostiziert bekomme. Das gleich mache ich mit Hering. Doch dazu in einem der nächsten Blogs mehr. Mein IgE-Wert bezüglich Getreide sollte aber niedrig sein, da ich ja eben nicht allergisch reagiere. Was der Stuhltest ergeben wird, darüber kann ich vorweg keine Aussagen treffen. Ich lasse mich überraschen.
Ich fühle mich übrigens nach den Gluten-Bomben bestens. Ich habe weder sofort danach, noch Tage später irgendwelche Symptome.
Die Ergebnisse der Gluten-Tests
Mein Allergietest an der Uniklinik in Innsbruck hat ergeben, dass ich nicht auf Weizen oder anderes Getreide reagiere. Ich habe auch keine Zöliakie oder anderwärtige glutenassoziierte Erkrankungen. Wie schon erwähnt, ich habe auch keinerlei Symptome.
Sagen wir, als Gedankenspiel, ich hätte aber Symptome. Dann würde ich nun googlen und zwangläufig auf Selbsttests für zuhause stoßen. Egal ob Stuhltest (z.B. medivere) oder Bluttest (z.B. cerascreen, Kiweno, Yorktest, …). Ich würde also diese Tests bestellen, sie durchführen und dann auf meine Ergebnisse warten. In meinem Fall mache ich einen Gluten-Stuhltest, einen IgE-Test und auch der IgG-Bluttest deckt Gluten und alle möglichen Getreide ab.
Nach wenigen Tagen habe ich das Ergebnis: Der Stuhltest sagt es sei alles bestens, ich vertrage Gluten einwandfrei. Der IgE-Test findet keine Allergie auf Weizen- oder Roggenmehl – so wie der IgE-Test den ich im Krankenhaus gemacht hatte. Der IgG-Test hingegen sagt, ich hätte ein „Leaky Gut Syndrom“ und würde sehr stark auf Gluten und Getreide reagieren. ich solle alle Getreideprodukte für drei Monate strikt meiden. Aha… Nun gut, zwei Tests liegen richtig, einer falsch. Ich gehe mit dem Ergebnis zu einer Labormedizinerin und will wissen, was Sie von diesen Tests hält.
Was sagen Experten zu meinen Testergebnissen?
Ich besuche also Prof. Dr. Griesmacher, Leiterin des Zentrallabors der Uniklinik Innsbruck und zeige ihr meine Befunde. Sie ist erstaunt, dass es solche Tests gibt. Vor allem der Stuhltest wundert Sie, da wohl vor vielen Jahren Versuche mit diesen Stuhltests auf Gluten gemacht wurden und sie als labormedizinisch unbrauchbar eingestuft wurden. Daher werden sie in der medizinischen Praxis schon lange nicht mehr gemacht, sagt sie. Auf das Ergebnis würde sie sich nicht verlassen.
Dass der IgG-Test angeschlagen hat, könnte daran liegen, dass ich viel Seitan gegessen hatte, erkläre ich der Professorin. Sie ist sich da nicht sicher, ob das so funktioniert, erklärt mir aber, was ich schon in der Recherche herausgefunden hatte, nämlich dass diese Tests von internationalen Fachorganisationen als nicht aussagekräftig eingestuft werden. Wenn ich glaube Gluten nicht zu vertragen, sollte ich besser zum Gastroenterologen gehen, meint sie. Schon allein deshalb, weil ich ja den Befund erklärt bekommen muss. Ok. Das habe ich doch auch schon mal gehört… Und ich gehe natürlich zu einem Gastroenterologen.
Stuhltest auf Gluten ist unbrauchbar
Dr. med. Straub, Zöliakie-Experte und ebenfalls an der Uniklinik Innsbruck angestellt, erklärt mir, dass der Befund des Stuhltests für ein Zöliakie-Screening unbrauchbar sei. Diese Tests seien als Screeningtests nicht akzeptiert, weil die Sensitivität viel zu gering sei. Auch zur Diagnosestellung bei positiven Ergebnissen wären diese Tests nicht ausreichend sicher. Und tatsächlich, es wurden in Studien Zöliakiepatienten und gesunde Menschen mit solchen Tests ausführlich getestet. Mit dem Stuhltest auf Transglutaminase-Antikörper wurden nur 10% der Zöliakiepatienten als erkrankt erkannt, 50% der Patienten mit positivem Testergebnis waren dafür nachweislich gesund (3). Das ist wahrlich eine sehr schlechte Trefferquote.
Bleiben wir bei unserem Gedankenspiel und sagen ich hätte Symptome, hätte gegoogelt und hätte diese drei Tests gemacht. Was würde ich nun wissen?
Nichts… ich wäre genau gleich schlau wie vorher. Rein psychologisch gedacht würde ich aber wahrscheinlich dem IgG-Test Glauben schenken, denn ich habe ja Symptome und suche verzweifelt nach einem Grund. Ich würde nun also drei Monate auf Weizenprodukte und Gluten verzichten.
Das machen IgG-Tests wirklich
Ich spreche mit Univ.-Doz. Dr. med. Kofler, einem der führenden Allergie-Spezialisten in Österreich. Er bestätigt mir, was alle führenden allergologischen Fachgesellschaften sagen. IgG-Tests zeigen nur das Ausmaß des Kontaktes mit den Nahrungsmitteln an, sie sind sozusagen ein „teures Ernährungstagebuch“. Sogenannte Typ-III Allergien auf Nahrungsmittel – von den Test-Herstellern gerne Nahrungsmittelunverträglichkeit genannt – gibt es gar nicht (4). Wenn ich viele Bananen esse, steigt mein IgG-Wert für Banane, esse ich kaum Äpfel, ist der IgG-Wert für Äpfel gering. Daher ist anzunehmen, dass die IgG-Tests nur zeigen, was für Ernährungsgewohnheiten man so an den Tag legt. Daher warnen die europäischen Allergie-Gesellschaften sogar ausdrücklich vor den „irreführenden Labortests“. „Bestimmungen von IgG-Antikörpern gegen Nahrungsmittel sind eindeutig abzulehnen und sollten nicht mehr empfohlen werden“ (5). Der Verband der Diätolog_innen Österreichs postete erst kürzlich wieder diese Warnung auf Facebook.
Dr. Kofler erklärt mir auch, dass die IgG-Werte erst sechs bis acht Wochen nach Kontakt mit dem Nahrungsmittel steigen. Meine Seitan-Provokation einige Tage vor der Blutabnahme war also für diese Messung nicht ausschlaggebend. Schade. Aber ich habe ja noch meine Hering-Provokation im Ärmel…
So testet man Nahrungsmittel-Allergien professionell
Allergien auf Nahrungsmittel kann man nur, so erklärt mir Dr. Kofler, mit einem ausführlichen Patientengespräch, mit IgE-Tests, Symptomtagebuch, Hauttests − sogenannten PRICK-Tests – und optional mit einer Provokation und Auslassdiät eindeutig feststellen. Ein IgE-Test alleine, so wie ich ihn als Heimtest durchgeführt habe, funktionere zwar grundsätzlich, sei aber nicht zielführend, da er alleine nicht viel aussagt. Es gäbe viele Sensibilisierungen, die klinisch nicht relevant sind, aber bei so einem Test irreführende Ergebnisse liefern können. Er zeigt es mir an meinem Befund: Ich habe laut meinem IgE-Befund auch auf Wespengift reagiert, müsste also allergisch sein. Ich habe einen kleinen Gemüsegarten am Land und werde da jedes Jahr 1-2-mal von Wespen gestochen. Die Reaktion darauf ist bei mir aber nicht viel stärker als bei einem Mückenstich. Dieses Ergebnis ist also klinisch nicht relevant. Daher muss ein IgE-Test immer zusammen mit den anderen Testmethoden gemacht werden, um eindeutige Ergebnisse zu bekommen, erklärt mir Dr. Kofler. Eine Auswertung des Tests durch einen Arzt ist also unbedingt notwendig.
Nahrungsmittelunverträglichkeiten, also Fruktose– oder Laktoseintoleranz, können nur mit Tagebuch, Anamnese und H2-Atemtest diagnostiziert werden. Die Zöliakiediagnostik ist komplex und kann keinesfalls mit irgendeinem Heimtest gemacht werden. Das „Leaky Gut Syndrom“, also die von den Herstellern propagierte Durchlässigkeit des Darms, gibt es zwar, aber nicht in der Form, wie es von den Anbietern propagiert wird und schon gar nicht wäre es über die in den Tests gemachten Laborwerte messbar. „Leaky Gut“ ist ein interessantes Thema, aber das wollen wir der Einfachheit aussparen. Vielleicht folgt hierzu bald ein eigener Blogeintrag…
IgG-Tests machen „abhängig“
Nun gut, zurück zu unserem Gedankenexperiment. Nach dem IgG-Test würde mich also einschränken, mehr für glutenfreie Produkte zahlen und mich acht Wochen bis sechs Monate lang kasteien. Und dann? Vielleicht würde ich dann nochmal so einen IgG-Test machen. Denn das empfehlen die meisten Hersteller. Und dann würde der IgG-Test vielleicht sagen, dass ich es jetzt wieder vertrage. Juhuu! Über 200 Euro und drei Monate später vertrage ich also das, was ich immer vertragen habe. Oder er würde sagen, nein, du reagierst immer noch. Dann würde ich halt weiterhin kein Gluten essen. Obwohl ich es bestens vertragen würde.
Einer gewinnt immer: Der Hersteller
Aus Sicht des Herstellers ist das toll, denn man kauft diese Tests im Idealfall nicht nur einmal, sondern im Abstand mehrerer Monate immer wieder. Und noch besser ist es, man testet die ganze Familie durch. Deshalb gibt es meistens auch Angebote für Familienpackungen. Das zahlt sich aus. Für den Anbieter. In einer Start-up-Show erfahre ich, dass so ein IgG-Test-Anbieter ca. tausend Stück pro Monat verkauft. Bei Kosten von meist über 100 Euro pro Test ein Millionengeschäft, das bei Investoren sehr beliebt ist.
Wissenschaftliche Studien für oder gegen IgG-Tests?
Aber warum gibt es diese Tests noch, wo doch die wissenschaftliche Lage klar ist? Ein Hersteller solcher Tests postete kürzlich in einem Blog diesbezüglich Studien die belegen sollen, dass IgG-Tests funktionieren und eine Verbesserung bringen. Ich schaue mir diese vier Studien an, denn vielleicht irren sich die Fachorganisationen ja? Vielleicht sind IgG-Tests doch sinnvoll?
Die erste zitierte Studie stammt von einem Hersteller solcher Tests selbst und ist daher nicht objektiv. Zwei andere Studien beziehen sich auf Reizdarmpatienten, nicht auf „Normalos“, und die vierte Studie wurde in einer Naturheilkunde-Zeitschrift veröffentlicht. Es gibt aber keine Kontrollgruppe, was die Studie natürlich unbrauchbar macht. Also schaue ich mir die beiden Reizdarmstudien genauer an. Die erste ist ebenfalls keine placebokontrollierte Doppelblindstudie und fällt somit für mich wegen Unwissenschaftlichkeit aus (6). Die zweite ist, Trommelwirbel, doppelblind und Placebo kontrolliert (7). Man hat Reizdarmpatienten getestet und dann zwei Gruppen gemacht. Eine Gruppe wurde entsprechend des IgG-Ergebnisses umgestellt (Echt-Gruppe), die andere bekam eine Schein-Diät wo nur Nahrungsmittel weggelassen wurden, auf die der IgG-Test keine „Allergie“ gefunden hat. Und siehe da, einigen der Echt-Gruppe ging es nach der Diät besser, den meisten der Schein-Gruppe nicht. Das sieht die Studie als Beweis für das Funktionieren von IgG-Tests.
Reizdarmpatienten sind keine „Normalos“
Klingt logisch. Wenn wir aber überlegen, was der IgG-Wert bedeutet, dann erinnern wir uns, dass IgG lediglich anzeigt, wovon ich viel esse und wovon ich wenig esse. Das bezweifeln auch die IgG-Befürworter nicht. Wenn ich ein Reizdarmpatient mit Symptomen bin heißt das, dass ich irgendetwas esse, was ich nicht vertrage. Wenn ich nun das weglasse wovon ich viel esse, ist mit großer Wahrscheinlichkeit das dabei, was ich nicht vertrage. Und genau das zeigt der IgG-Test an, er zeigt wovon ich viel esse. Damit stimmt es, dass Reizdarmpatienten der IgG-Test helfen kann. Auch wenn sie stattdessen einfach eine FODMAP-Diät halten oder ein Symptomtagebuch führen hätten können… Diese Studie ist übrigens in der Fachwelt sehr umstritten, auch wegen anderer Probleme wie Anzahl der Testpersonen oder Dateninterpretation (8).
Wie auch immer, das gilt – was im Übrigen schon länger bekannt ist − nur für Reizdarmpatienten und mit dem Hinweis, dass es nichts mit Allergien oder dem von den Herstellern beschriebenen Mechanismus zu tun hat, sondern ganz einfach mit in der Nahrung enthaltenen Kohlehydrate, die die Darmflora beeinflussen. Das ganze gilt aber leider nicht für „Normalos“.
Im Endeffekt zeigt keine der von den Herstellern genannten Studien, das was die Hersteller gerne hätten. Doch das ist dem normalen Kunden scheinbar gleich. Sobald irgendwo eine Studie gepostet wird und behauptet wird, sie würde XY beweisen, scheint der Verbraucher dies zu glauben.
Mein Glutenversuch: Das Fazit
Zurück zu unserem Beispiel: Was müsste ich, hätte ich Symptome, nun nach meinen Tests machen? Nun, ich sollte wohl zum Arzt gehen und eine Diagnostik samt Zöliakie-Diagnostik machen lassen. Und ich sollte ihm von meinen Selbstversuchen erzählen, denn eine Gluten-Karenz vor der Diagnose einer Zöliakie würde das Ergebnis verfälschen. Erst dann, nach meinem Arztbesuch, hätte ich Sicherheit. Und hätte ich das gleich gemacht, hätte ich mir 3 Monate Verzicht und über 200 Euro für Tests gespart, die keinerlei Aussage über Glutenverträglichkeit machen…
Quellen
1. Laborarztpraxis Jochen Hüter. InVita Lab [Internet]. Available from: http://invitalab.de/informationen/allergie-diagnostik/allergie-typ-3/
2. Kiweno GmbH. Kiweno [Internet]. Available from: https://kiweno.com/faq/sind-nahrungsmittelunvertraeglichkeiten-eine-form-von-allergie/
3. Kappler M, Krauss-Etschmann S, Diehl V, Zeilhofer H, Koletzko S. Detection of secretory IgA antibodies against gliadin and human tissue transglutaminase in stool to screen for coeliac disease in children: validation study. BMJ. 2006;332(7535):213–4.
4. Ledochowski M, editor. Klinische Ernährungsmedizin. Springer Wien New York; 2010.
5. ÄDA, DGAKI, GPA, ÖGAI, SGAI. Keine Empfehlung für IgG-Antikörpertests gegen Nahrungsmittel. Presseinformation. 2009;
6. Clarke DP, Burdette C, Agolli G, Dorval B, Gaston A, Chesla S. The Relevance of Using the C3d/Immunoglobulin G Test in Clinical Intervention. Altern Ther Health Med. 2015;21:16.