So komplex ist die Histaminintoleranz
Ich lese und höre immer wieder abenteuerliche Geschichten über die Diagnose der Histaminose oder Histaminintoleranz. Mal abgesehen von alternativmedizinischem Unsinn wie Haaranalyse, Spuckeanalyse oder Handauflegen und dann den Gegendruck des Körpers messen, gibt es auch schulmedizinische Methoden die angewendet werden, obwohl sie nicht funktionieren oder von der Leitlinie nicht empfohlen werden.
Wie man eine Histaminintoleranz diagnostiziert, haben wir zwar in einem ausführlichen Artikel zusammengefasst, dennoch spricht sich der richtige Diagnoseweg nicht wirklich rum. Auch deshalb, weil viele Ärzt*innen nicht die Komplexität der Histaminose kennen. Daher hier nochmal ein paar Infos und Erklärungsversuche zur Histaminintoleranz.
Was ist Histaminintoleranz oder Histaminose
Angeblich beschreibt schon Hippokrates körperliche Reaktionen wie Hitzewallungen, Unbehagen, Kopfschmerz und Durchfall auf Käsekonsum1), ich konnte diese Quelle jedoch nie verifizieren. Auch der angebliche Bericht von John Fothergrill, der 1784 von Migräne nach dem Genuss von Wein und Käse berichten soll2), ließ sich von mir nicht verifizieren. Fakt ist, dass Mitte der 1960er Jahre biogene Amine als Auslöser bestimmter Symptome beim Verzehr lange gereiften Lebensmitteln gefunden werden. Ab den 1980ern wurde intensiver geforscht und seit den 2000er Jahren wissen wir: Da gibt es was. Aber was?
Das ist schwer zu sagen. Histamin ist ein wichtiger Stoff, wir bilden ihn selbst und wir nehmen ihn über die Nahrung auf. Und nur dieses über die Nahrung aufgenommene Histamin ist relevant für die Histaminintoleranz! Aber nicht nur das, auch andere biogene Amine, die über dieselben zwei Abbauwege im Körper abgebaut werden, sind relevant. Diese Abbauwege sind im Darm über die DAO und im Blut über HNMT. Daher sagt man, dass die Histaminintoleranz eher ein „Symptomenkomplex, der nur in einzelnen Fällen auf Histamin allein zurückgeführt werden kann“3) ist.
Der Weg des Histamins – sehr vereinfacht dargestellt
- Histamin (und das steht jetzt stellvertreten für alle relevanten biogenen Amine) wird also über die Nahrung aufgenommen.
- Es wird dann im Darm mit dem Enzym DAO abgebaut. Fehlt das oder ist es nur eingeschränkt tätig oder nehme ich zu viel Histamin auf und meine DAO ist einfach überfordert, wie z.B. bei einer Nahrungsmittelvergiftung, so bekomme ich Symptome. Es kann hier aber auch alles in Ordnung sein. Das Histamin wird dann aufgenommen und …
- … im Blut vom Enzym HNMT abgebaut. Und auch hier kann es sein, dass die HNMT nicht richtig funktioniert oder zu wenig vorhanden ist. Dann kommt es zu Symptomen. Die HNMT inhibiert sich selbst, das heißt sie stoppt sich selbst, wenn zu viel davon aktiv ist. Auch hier kann es zu Problemen kommen, wenn sich z.B. zu viel Histamin im Blut befindet, das auch über andere Wege als über die Nahrung zirkuliert.
Ich will damit zeigen: Es ist echt kompliziert! Und es gibt nicht, wie bei der Laktoseintoleranz, genau ein Enzym, wenn das nicht ordentlich arbeitet, habe ich Probleme. Nein, es gibt zwei Enzyme, mehrere Amine und viele Faktoren die die Probleme auslösen oder beeinflussen können. Und meistens ist nicht eine dieser Variablen relevant, sondern mehrere.
Was hat das nun mit der Diagnose zu tun?
Ganz einfach: Wir können nicht eine Variable messen und damit sinnvolle Rückschlüsse ziehen. Ein Symptomenkomplex der von so vielen Variablen abhängt, lässt sich nicht so einfach über einen oder auch mehrere Blutwerte bestimmen.
Und dabei habe ich im vorigen Abschnitt verschwiegen, dass die DAO- oder HNMT-Werte in Blut und Urin keine Aussage über deren Aktivität oder über deren ausreichendes Vorhandensein aussagen… sie sind also zur Diagnose der Histaminose tatsächlich irrelevant. Ich habe auch die vier verschiedenen Histaminrezeptoren und einige andere Themen wie histaminbildende Bakterien im Darm, notwendgige Kofaktoren wie Vit B6, histaminfreisetzende Nahrungsmittel oder den Zusammenhang mit Allergien verschwiegen… der Histaminstoffwechsel und die Rolle des Histamins im Körper sind einfach mega komplex. Das ist nicht untertrieben: es ist mega komplex!
Also, wie ist der richtige Diagnoseweg?
Die Leitlinie ist hier recht klar 4). Auf die Anamnese – also das Arzt-Patienten-Gespräch, und gegebenenfalls weiterführende fachspezische Differenzialdiagnostik folgt ein Ernährungs- und Symptomtagebuch. Dieses führt man, ohne Diät zu halten, für ca. 2 Wochen. Was nicht empfohlen wird sind DAO- und Histaminbestimmungen im Serum/Plasma sowie Stuhlanalysen bezüglich Histamin oder Bakterienbesiedlungen.
Dann folgt eine dreistufige Ernährungsumstellung. In Absprache mit Arzt/Ärztin führt man weiterhin ein Symptomtagebuch für mindestens 6 bis 8 Wochen. Die drei Phasen sind Karenzphase (2 Wochen strikte histaminarme Diät), Testphase (langsames Austesten verträglicher Nahrungsmittel) und dann die Dauerernährung. Tritt nach 6 bis 8 Wochen eine Besserung ein, so kann unter ärztlicher Aufsicht ein Provokationstest gemacht werden. Das dient der Absicherung der Diagnose Histaminose. Tritt keine Besserung ein, müssen weitere diagnostische Abklärungen gemacht werden. Auch hier ist das Symptomtagebuch ein wichtiger Ideengeber für den Arzt/die Ärztin.
Die Dauerernährung bei Histaminintoleranz
Diese letzte Phase, die Dauerernährung bei HIT, beinhaltet „individuelle Ernährungsempfehlungen, die sich an der individuellen Histaminverträglichkeit unter der Berücksichtigung exogener Einflussfaktoren orientieren“ 4) und sollten jedenfalls mit Ernährungsexpert*innen abgesprochen werden.
Ihr seht: Es ist komplex und es gibt keine einfache Methode der Diagnose der Histaminose. Man muss sich hier einfach drauf einlassen und kann nicht erwarten, dass man ohne selbst etwas beitragen zu müssen, z.B. nur durch simple Bluttests, eine Diagnose bekommt.
Quellen
Steneberg A., 2007, Biogene Amine – Ernährung bei Histamin-Intoleranz; Umwelt & Gesundheit
https://www.biodiversitylibrary.org/item/196001#page/427/mode/1up
Komericki P, Klein G, Hawranek T, Land R, Reider N, Stri- mitzer T, Kranzelbinder B, Aberer W. Oral verabreichte Di- aminoxidase (DAO) bei Patienten mit Verdacht auf Histamin-Intoleranz. Allergologie 2008;31:190
Leitlinie zum Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin, 2017; Allergo J Int 2017; 26: 72–9