Wow. Ich wollte nur einen Blogeintrag schreiben. Und nun sind es fünf geworden. Das Thema „Test bei Nahrungsmittelunverträglichkeit“ ist unglaublich vielfältig. Ich habe mit meinen Recherchen nur an der Oberfläche gekratzt und bin auf faszinierende Erkenntnisse gestoßen. Auch die Reaktionen zu diesem Blog waren überwältigend. Noch nie hatten wir so viele Leser innerhalb von 24 Stunden und die Verbreitung in den sozialen Medien war enorm.
Ich habe persönlich viel gelernt. Z.B. dass ein Arztbesuch fast immer günstiger und ganz sicher immer besser als ein Selbsttest ist. Ich habe gelernt, dass ich trotz Heimtest zum Arzt gehen sollte, weil mir ja irgendwer den Befund erklären muss. Und eine Facebook Gruppe ist hierfür definitiv der falsche Ort. Ich habe auch gelernt, dass man mit so einem offenen und ehrlichen Blog viele Menschen, die auf derartige Tests schwören, vor den Kopf stößt und dadurch einiges an Hate, bösartigen E-Mails und negativen Facebook-Postings erhält. Aber die positiven Reaktionen haben bei weitem überwogen. Noch nie habe ich so nette und so viele positive Mails auf einen Blogeintrag bekommen. Danke mal dafür!
Hauptproblem: fehlendes Gespräch
Das größte Problem waren bei allen Tests, die fehlende Anamnese, also das fehlende Arzt-Patientengespräch und – auch dadurch verursacht – die Ernährungsempfehlungen, die für mich vollkommen falsch waren. Ohne jegliches Patientengespräch weiß der Anbieter solcher Selbsttests natürlich nichts von meinen anderen Erkrankungen. Selbsttests, selbst wenn sie valide Werte ausgeben, sind immer nur ein Teil eines diagnostischen Puzzles, das nun mal nur jemand zusammensetzen kann, der sich auskennt. Und nur weil ein Test valide Ergebnisse liefert, heißt es nicht, dass das Ergebnis klinische Relevanz hat. Vereinfacht ausgedrückt: Der IgE-Test funktioniert, auch der IgG und Florastatus liefern „wissenschaftliche“ Ergebnisse. Allein die Deutung bezüglich klinischer Relevanz und vor allem die Herstellung einer Verbindung von Ergebnis zu „Erkrankung“ ist nicht seriös.
Stuhltests
Der Stuhltest auf Gluten hat bei mir zwar die richtigen Ergebnisse geliefert, aber das lag an der Wahrscheinlichkeit. Diese Tests ergeben bei gesunden wie bei erkrankten Menschen ca. 10% positive Diagnosen, also mit 90% Wahrscheinlichkeit bei einem Zöliakiepatienten die falsche und bei einem gesunden Menschen die richtige „Diagnose“. Diese Tests werden also ganz klar nicht empfohlen.
Die Darmflorastatus hat mir wenig Erkenntnis gebracht, aber er funktioniert. Die Interpretation ist schwierig, selbst ich als Ernährungsbiologe wusste nach dem Befund nicht, was ich nun damit machen sollte. Wirklich sinnvolle Aussagen über das eigene aktuelle Mikrobiom kann man nur machen, wenn man mehrere endoskopische Tests mit genauer Speziesanalyse macht. Das ist teuer und nur bei speziellen Indikationen sinnvoll. Aufgrund des Florastatus irgendwelche Probiotika zu schlucken schadet vermutlich gleich wenig, wie es helfen wird. Aber diese Stuhl-Analysen geben einem das Gefühl, dass man – wissenschaftlich unterstützt – sich selbst etwas gutes tut. Sie werden viele Menschen finden, die schwören werden, wegen genau dieser Tests Besserung für ihre Beschwerden gefunden zu haben. Ganz egal, ob es ohne auch gegangen wäre. Naja. Freuen wir uns mit ihnen, dass es ihnen besser geht.
Bluttests
Der IgE-Heimtest hat zwar korrekte Ergebnisse geliefert und auch die befragten Ärzte haben diesen Test als solchen nicht kritisiert. Nur die medizinische Aussage des Tests sei ohne Zusatzinformationen nicht gegeben, die Möglichkeit von falschen bzw. klinisch nicht relevanten Ergebnissen sei sehr hoch. Außerdem kostet er viel und wäre beim Arzt kostenlos gewesen.
Der IgG4-Test hat relativ genau angezeigt, was ich so esse. Mehr nicht. Eine Aussage über Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Allergien kann er keine liefern. Ebenso wenig kann er über die Darmpermeabilität („Leaky Gut Syndrom“) eine valide Aussage treffen. Die Ernährungstipps die ich vom Anbieter bekommen habe waren in meinem Fall grundverkehrt und hätten, hätte ich sie befolgt, schwere Verdauungsprobleme, Schmerzen und auf Dauer depressive Verstimmungen bewirkt.
IgG4-Test mit fatalen Ernährungsempfehlungen
Ich kann und soll laut Ernährungsempfehlung des IgG-Selbsttests Apfel, Kirsche, Orange und Weintrauben essen – wohlgemerkt als fruktoseintoleranter Mensch. Diesen Selbstversuch erspare ich mir, da ich keinen Bock auf drei Tage Toilette habe.
Neben den Unverträglichkeiten diagnostiziert mir der IgG-Test-Anbieter auch ein „Leaky Gut Syndrom„. Ich solle daher Probiotika nehmen. Man empfiehlt mir Sauerkraut zu essen, da es ein natürliches Präbiotikum sei. Auch rote Beete solle ich deshalb verzehren. Beides würde bei mir – ich habe wie gesagt Fruktoseintoleranz – üble Durchfälle und Bauchkrämpfe hervorrufen.
Die Geschichte mit dem Probiotikum finde ich überhaupt interessant. Da ich ja vor meinem Darmfloracheck zwei Monate lang genau die jetzt empfohlenen Bakterien genommen habe – ich wollte schauen, ob man das im Florastatus nachweisen kann (kann man nicht…), ergibt das ganze wenig Sinn, bzw. zeigt es, dass die Empfehlung nicht stimmt. Würde sie stimmen, wäre meine Permeabilität ja besser. Ich sage mal voraus, dass der betreffende Hersteller in den nächsten Monaten auch Probiotika auf den Markt bringen wird, die einem dann gleich zur Diagnose mit empfohlen werden.
Mein Fazit
Selbstdiagnosen durch solche Tests können dazu führen, dass die erst danach erfolgte Diagnose beim Arzt falsche Ergebnisse liefert, weil ich bestimmte Karenzen gemacht habe. Selbstdiagnosen können zu großen Gesundheitsproblemen führen. Heimtests ohne kompetente ärztliche Beratung können Essstörungen begünstigen oder als soziale Legitimation dafür dienen, sie können keine sinnvollen Ernährungsempfehlungen geben, weil das persönliche Gespräch und eine Anamnese fehlt.
Auch Raucher werden 100 Jahre alt
Ja, man findet immer wen, bei dem die Tests funktioniert haben. Man findet auch immer wen, der trotz 40 Zigaretten am Tag 100 Jahre alt wurde. Man findet auch sportliche Veganer, die mit 30 Jahren einen Herzinfarkt haben. Meist liegt das daran, dass es Zufall war. Auch mein IgG-Test hätte geringfügige Besserung gebracht, wenn ich nichts von meiner Laktose- und Fruktoseintoleranz gewusst hätte. Ich hätte alle Getreide, alle Milchprodukte und noch zig andere Nahrungsmittel weggelassen, d.h. laktosefrei und auch sonst sehr eingeschränkt gelebt und mich dadurch an manchen Tagen sicher besser gefühlt, als zuvor. Nämlich dann, wenn ich zufällig keine Fruktose gegessen hätte. Das wäre aber selten gewesen, da ich ja viel Fruktose und Sorbit laut der Ernährungsempfehlung gegessen und dadurch ziemliche Probleme gehabt hätte. Aber vielleicht wäre mein zweiter Test nach einigen Monaten dann darauf angesprungen und irgendwann hätte ich nur noch Reis und Kartoffeln gegessen. Symptomfrei. Bis ich Mangelerscheinungen oder sogar eine Essstörung entwickelt hätte und ohne jemals zu wissen, was mein wirkliches Problem ist…
Alles in allem muss man von solchen Selbstdiagnosen und Heimtests abraten. Ich weiß, heutzutage schimpft man gerne auf Ärzte und ja, es gibt sicher Ärzte, die nicht gut in ihrem Job sind – ich kenne auch ein paar. Aber es gibt auch Automechaniker, die schlecht in ihrem Job sind, deshalb sind aber nicht alle Mechaniker schlecht. Man sucht sich halt einen neuen mit dem man zufrieden ist und mit dem zusammenarbeiten kann. Sein Auto bringt man trotzdem in die Werkstatt und bastelt − ja, jeder Vergleich hinkt − nicht selbst daran herum. Ich zumindest nicht. Und so sollte man auch mit seinem Körper umgehen. In Zusammenarbeit mit einem Arzt und, im Falle einer richtig diagnostizierten Allergie oder Intoleranz, diätologisch begleitet durch eine Ernährungs-Fachkraft.
Es wäre wirklich toll, wenn solche Tests brauchbare Ergebnisse liefern würden. Ich wäre der erste, der sich wie ein Kind darüber freuen würde. Aber sie tun es nicht. Solche Tests sind einfach nicht sinnvoll. Sorry.