Das Mikrobiom – die „Darmflora“
Das Thema Mikrobiom boomt. Die wundersame Bakterienwelt des menschlichen Darms beschäftigt derzeit nicht nur Fachleute (In den Fachpublikationen verdoppelt sich die Zahl der Literaturzitate zum Thema alle zwei Jahre1)), sondern findet sich auch in Publikumsmedien und in sozialen Netzwerken wieder. Erst seit Mitte des 17. Jahrhunderts wissen wir um die Bakterien, die in uns leben2), doch unser Wissen blieb lange Zeit ziemlich beschränkt, bis wir im 20. Jahrhundert neue Methoden entwickelt hatten, um das so genannte intestinale Mikrobiom (die „Darmflora“) genauer untersuchen zu können. In den letzten Jahren begann man zu verstehen, dass das Mikrobiom und unsere Gesundheit zusammenhängen. Bakterien (und Pilze) im Darm sind wichtig für die Verdauung und die Abwehrkräfte. Dennoch steckt die Forschung immer noch in den Kinderschuhen und wir wissen noch relativ wenig über diese konkreten Zusammenhänge. Dieser Umstand hält findige Geschäftsleute jedoch nicht davon ab, mit so genannten Mikrobiomtests gutes Geld zu verdienen. Und das, obwohl diese Produkte, die unter „Florastatus“ oder „Gesundheitscheck Darm“ vertrieben werden, bei weitem nicht halten, was sie versprechen. Anstatt Antworten zu geben, werfen diese Tests nur noch mehr Fragen auf, wie mein Selbstversuch gezeigt hat.
Was ist ein Florastatus?
Die Idee dahinter ist es, sich die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms anzusehen. Vereinfacht gesagt soll die Frage beantwortet werden: Welche Bakterienarten tummeln sich im Darm und sind diese gut oder schlecht? Mit diesem Wissen ausgestattet, will man anschließend das Mikrobiom wieder „ins Gleichgewicht bringen“, zum Beispiel durch eine spezielle Ernährung oder durch die Gabe von Probiotika.
Und so funktioniert ein Floratest: Man entnimmt zu Hause eine Stuhlprobe und schickt diese dann in einem speziellen Behälter so schnell wie möglich an ein Labor. Einige Tage später kann man den „Befundbericht“ online ansehen.
Ich habe solche Tests schon einmal gemacht und auch darüber geschrieben. Ich möchte die damalige Kritik hier nur kurz zusammenfassen:
- Es werden nur die Gattungen der Bakterien bestimmt, nicht jedoch die Arten. Alleine von Laktobazillus gibt es mehr als 40 Arten im Darm3), doch es wird im Befundbericht nur ganz allgemein von „Lactobacillus species“ geschrieben. Das ist grundsätzlich nicht so tragisch, aber es gibt bei anderen Gattungen, wie z.B. E. coli – durchaus wichtige Unterschiede. So kann es hier harmlose und (sehr selten) gefährliche Arten geben. Doch die würden nicht erkannt werden. Auf diese Kritik angesprochen, schreibt mir der Testhersteller: „Unsere Methode weist nur die quantitative Messung der angegebenen Gruppen – weitere Differenzierung ist uns technisch nicht möglich. Bei einer Erhöhung z.B. der E.coli-Keimzahl können wir also keine Aussage über Beteiligung potenziell pahogener Keime machen.“
- Die Bakterienmischung im Stuhl gibt weder an, wo im Darm welcher Keim sitzt, noch in welchem Abschnitt größere Ansammlungen davon zu finden sind. Doch genau das wäre aber wichtig für eine seriöse Diagnose.
- Wie viele Bakterien von welcher Art „normal“ sind und ab welchen Mengen man von Problemen sprechen kann, ist unbekannt. Dazu gibt es keine wissenschaftliche Literatur. Und doch werden beliebige Grenzwerte herangezogen, um im Befundbericht von zu viel oder zu wenig zu sprechen. Der Hersteller meint dazu: „Die Referenzwerte stammen aus internen Studien und werden jährlich überprüft“.
- Das Ergebnis wird meist in Facebookgruppen besprochen und von Laien bewertet. Diese geben Ernährungstipps und medizinische Empfehlungen. Der Hersteller mein hierzu: „In unseren Befunden weisen wir auf die Notwendigkeit kompetenter Interpretation durch Arzt oder Therapeut hin.“ Okay, aber was, wenn der kompetente Arzt nicht weiß, dass es solche Tests gibt (warum sollte er auch Tests kennen die nicht funktionieren?) oder wenn er gar weiß, dass diese Tests sinnlos sind und dem Patienten dies sagt? Nun, dann geht der beleidigte Patient ins Netz und lässt sich eben in Facebookgruppen beraten.
Ich hatte nach dem damaligen Blog viele Zuschriften. Da war alles Mögliche dabei, von Dankesschreiben, dass man da endlich mal aufklärt, bis zu wüstesten Beschimpfungen, dass ich keine Ahnung hätte und diese Tests Leben verbessern würden. Ich habe diese Kritik ernst genommen und in den folgenden Monaten einige Facebookgruppen beobachtet. Denn das „Diagnostizieren“ und Diskutieren von Testergebnissen in diesen Gruppen nahm eher zu, als ab.
Diagnosen in Facebookgruppen
Was ich auf Facebook erlebt habe, war erschreckend. Ich kann das gar nicht alles hier ausbreiten, wurde aber zu einem eigenen Blog inspiriert. Es gab alle möglichen Ernährungsratschläge aufgrund von Floratests. Zum Beispiel genaue Angaben, warum man welche Kohlehydrate und welche Eiweiße essen solle, weil etwa zu viele E. choli nachgewiesen wurden. Lange Listen mit Nahrungsergänzungsmitteln, Basenwassern, Heilerden und speziellen Superfoods, die den Darm wieder in Balance bringen sollten, wurden ebenfalls munter ausgetauscht. Besonders geärgert hat mich das Beispiel einer Dame, die ihre 7-jährige Tochter aufgrund so eines Tests ein Jahr lang nach strenger Diät ernährt hat. Nun habe sie den Test wiederholt, dieser sei aber wieder sehr schlecht. Natürlich bekam sie im Netz alle möglichen und unmöglichen Ratschläge. Ein kleiner Auszug: Ihrem Kind wurde ein Leaky Gut Syndrom diagnostiziert, sie solle dem Kind Nahrungsergänzungsmittel und „Perocur“ geben. Natürlich solle sie ihre Tochter weiterhin auf eine strenge Diät setzen.
Darmchecks im Selbst-Check
Nehmen wir an, alle meine vorigen Kritikpunkte wären falsch und diese Tests würden tatsächlich funktionieren. In dem Fall müsste mein Selbsttest bei zwei Stuhlproben, die ich am selben Tag entnehme auch dasselbe Ergebnis liefern. Dem stimmen vermutlich auch meine Kritiker zu. Denn wenn das Ergebnis unterschiedlich wäre, warum sollte ich mir dann das ganze Gedöns mit Diät, Probiotika, Basenwasser & Co antun?
Zwei Darmtests an einem Tag
Gesagt getan. Ich mache um 8:00 morgens den ersten und sieben Stunden später einen zweiten Test – ja, ich bin gesegnet mit zwei Stuhlgängen pro Tag. Ich sende beide Tests ab und warte auf das Ergebnis. Wenige Tage später ist es da.
Mein Stuhl am Morgen zeigte laut Befundbericht zu viele E. choli, zu viele Enterococcus species und zu wenige Lactobacillus species. Einige Seiten an Text waren dabei, die ich selbst als Ernährungsbiologe nicht verstanden habe, bzw. denen ich nicht folgen konnte. Der Bericht ist chaotisch und man versteht nicht, ob das allgemein gemeint ist oder sich auf einen selbst bezieht. Kein Wunder, dass man als Normalbürger Hilfe im Internet sucht. Eine Grafik verdeutlicht aber, dass ich Probleme haben muss. Fäulnisflora zu hoch, Histaminbildner zu hoch, Säuerungsflora zu gering, Pilze okay und pH-Wert zu hoch. Ich bekomme Angst. Irgendwas scheint in meinem Darm nicht zu stimmen.
Der Test von 15:00 (desselben Tages!) hingegen ist in Ordnung. Nur Enterococcus gibt es noch zu viele. Die Grafik, die das alles verbildlicht, ist grün. Meine Angst schwindet wieder. Mein Darm scheint gesund zu sein.
8:00 | 15:00 | |
---|---|---|
pH Wert Stuhl | 7,5 | 7,5 |
E. choli | 7*10^8 | 1*10^6 |
Enterococcus spec. | 8*10^8 | 1*10^9 |
Lactobacillus spec. | 1*10^5 | 5*10^5 |
Flora-Index | 5: Fäulnisflora, Histamin zu hoch, Säuerungsflora | 2 – alles ok |
Legende – rot: zu hoch, gelb: zu niedrig, grün: OK
Was bedeutet das nun?
Liebe Kritiker und Florastatus-Gurus: Das heißt, dass das intestinale Mikrobiom, also die „Darmflora“, durch solche Tests nicht bestimmbar ist. Wenn ich innerhalb von sieben Stunden unterschiedliche Ergebnisse bekomme, können diese Tests einfach keine Aussage liefern. Sie sind zu ungenau. Der Hersteller sagt dazu: „Leichte Schwankungen sind bei Untersuchung organischen Materials stets möglich. Bei vergleichender Betrachtung beider Befunde bleiben die Aussagen ähnlich: hoher pH-Wert, niedrige Laktobazillen, hohe Enterokokken. Lediglich E. coli unterligt stärkerer Schwankung.“ Hat der Hersteller recht? Nein, hat er nicht. Ja, der pH-Wert ist beidemale hoch. Laktobazillus ist aber beim zweiten Test im vom Hersteller definierten Normbereich (Unterschied 400.000 Koloniebildenden Einheiten – das ist die Einheit in der gemessen wird). Die Enterokokken unterscheiden sich in den beiden Tests gar um 200 Millionen Einheiten. Das ist schon einiges.
Das Fazit
Was bei so einem Test rauskommt, hängt damit zusammen wann man den Test macht. Hat man heute keine Zeit und denkt sich: „Ach, das mache ich morgen“, dann hat man morgen schon ein signifikant anderes Ergebnis. Stellen Sie sich das mal bei einem seriösen medizinischen Test auf Krebs, Malaria oder HIV vor.
Ja, die Darmflora ist wichtig für unsere Gesundheit. Ja, die Darmflora hat Einfluss auf uns. Ja, durch eine Ernährungsintervention kann man die Darmflora ein bisschen beeinflussen. Ja, es gibt Mikrobiomanalysen die sinnvoll sind – diese werden aber sehr selten benötigt, kosten sehr viel Geld und werden vom Arzt durchgeführt. Aber Heim-Tests die die Darmflora analysieren liefern keine brauchbaren Aussagen. Nicht mal ansatzweise. Und schon gar nicht, wenn man sie in Facebookgruppen postet und diskutiert.
Ich habe übrigens noch einen dritten Test gemacht. 10 Tage später, ohne meine Ernährung zu ändern, ohne jegliche Probiotika oder sonstige Maßnahmen. Da war der pH-Wert normal und ich hatte plötzlich zu wenige E. cholis.
8:00 | 15:00 | 8:00, aber 10 Tage später | |
---|---|---|---|
pH Wert Stuhl | 7,5 | 7,5 | 6,5 |
E. choli | 7*10^8 | 1*10^6 | 1*10^4 |
Enterococcus spec. | 8*10^8 | 1*10^9 | 8*10^8 |
Lactobacillus spec. | 1*10^5 | 5*10^5 | 6*10^6 |
Flora-Index | 5: Fäulnisflora, Histamin zu hoch, Säuerungsflora | 2 – alles ok | 3 – alles ok |
Legende – rot: zu hoch, gelb: zu niedrig, grün: OK
Quellen
(1) Salzberger, B., Lehnert, H. & Mössner, J. Internist (2017) 58: 427. https://doi.org/10.1007/s00108-017-0230-3
(2) Steinhagen, P.R. & Baumgart, D.C. Internist (2017) 58: 429. https://doi.org/10.1007/s00108-017-0224-1
(3) Hof H, Dörries R. Medizinische Mikrobiologie [Internet]. 5th ed. Georg Thieme Verlag; 2014. Available from: https://books.google.at/books?id=MtFmAwAAQBAJ&dq=wie+viele+lactobacillus+arten+gibt+es&source=gbs_navlinks_s